Eremitisches Leben heute

Sich Gott aussetzen und standhalten

Eremitisches Leben heute

Wie Quellwasser aus trockenem Boden emporsprudelt, so hat die uralte Lebensform der Einsiedler in den letzten Jahrzehnten in ganz verschiedenen Ausprägungen eine neue Gestalt angenommen.
Dieser Aufbruch des eremitischen Lebens aber löst Fragen aus; nicht zuletzt, weil die Vorstellungen über Einsiedler vielfach von romantischen oder streng asketischen Schablonen bestimmt werden.

Leseprobe:
Der Weg des Eremiten durch die Wüste ist die Suche nach dem Ort, wo Christus als der Gekreuzigte und Auferstandene gegenwärtig ist. Bedingungslos und unbeirrt auf dem Weg dieser Suche bleiben, sich dorthin führen lassen, wo Er ist: untrennbar verbunden mit jedem Atom des Kosmos, mit jedem Stück Welt! Sein Geist ist der geheime Antrieb dieser Welt und wirkt und webt in allen Dingen. Ob wir es wollen oder nicht, ob wir es sehen oder blind und taub in den Tag hinein leben: Durch seinen schmählichen, bitteren Kreuzestod und seine Auferstehung ist Christus das Herz der Welt geworden, ihre innerste Mitte. „Und so hat Er die Welt schon verwandelt. Besiegt, indem Er sie wandelte. Indem Er das Herz der Welt wurde, ihre letzte Entelechie, ihre geheimste und innerste Kraft.“
Zu diesem Herz unterwegs zu sein, zu dieser Kraft, diesem Wirken in der Stille auf der Spur zu bleiben, sich dieser Suche tagtäglich und in jeder Nacht mit ganzer Kraft hinzugeben, um Ihn, um Sein oft so verborgenes Licht zu suchen, sich nach Seiner leisen, so unendlich leisen Stimme mit allen Sinnen auszurichten und dem absolute Priorität einzurichten heißt die strengere Trennung von der Welt zu leben.
Radikal möglich ist dies nur in der Zurückgezogenheit. Ohne ein Reduzieren der Kontakte und ohne die sorgsam abgewogene Gestaltung des täglichen Lebens ist dieses Wandern in den Wüstenzonen der inneren Landschaft nicht zu leben. Dieser waghalsige Pfad im Dämmerlicht, manchmal in einer mondlosen Nacht gleichenden Finsternis kostet alle Kraft, die nur durch die konsequente Entscheidung, was oberste Priorität hat und was dahinter zurückstehen muss, gesammelt werden kann. Die Schritte des Eremiten balancieren auf schmalem Grat, geleitet von einem oft nur allzu schwach schimmerndem Licht, das von oben einfällt und nur wenig mehr als den nächsten Schritt erleuchtet. Im Kegel dieses Lichtes muss der Eremit bleiben, alles hängt davon ab. Verlässt er ihn, treten seine Füße ins Leere, stürzt er in Schluchten, die, gefüllt mit Schaudern und Schrecken, rechts und links des Weges lauern.

Sich Gott aussetzen und standhalten, Eremitisches Leben heute.
Aschendorff Verlag Münster 2009,
geb. 128 Seiten, Hardcover, 12,80 EUR

ISBN: 978-3-402-12811-4